Ein Bericht von Theresa Unsenos für den 2. Pfarrbrief der Kirchengemeinde „Maria Frieden“ in Hamminkeln.
Es ist heiß, sehr heiß. Um die 35 Grad im Schatten muss es sein, die heiße Septembersonne brennt vom Himmel. Unten am Hang schleppt sich ein junger Mann mit großer Mühe den Weg zur Krankenstation hinauf. Er ist erschreckend dünn, hat müde, trübe Augen, seine Lippen sind aufgesprungen. Er ist am Ende seiner Kräfte. Ohne viele Worte laufen ihm zwei Schwestern entgegen, stützen ihn und bringen ihn in die Krankenstation, wo er sich, im Bett liegend immer und immer wieder erbricht.
Der junge Mann braucht schnelle Hilfe- er ist an Malaria erkrankt und vollkommen dehydriert. Sofort wird ein Zugang gelegt, der Patient bekommt Flüssigkeit und Medikamente. Sprechen kann er nicht viel, Papiere oder Geld hat er nicht bei sich. Doch danach fragt auch niemand – auf meine Nachfrage, wer für die Behandlungskosten aufkommen wird, winkt die Schwester ab. „Das sehen wir später. Jetzt soll er sich erst einmal erholen, er braucht Hilfe.“ Die Steyler Missionarsschwestern kennen Situationen wie diese zur Genüge – Menschen in aller größter Not kommen erst zu ihnen, wenn sie sich nicht mehr anders zu helfen wissen – denn oft haben sie die finanziellen Mittel nicht, um für die Behandlungskosten aufzukommen.
Das „Centre Medico-Sozial Anna Maria“ ist eine Krankenstation in Togo, Westafrika, welche durch den Verein „Togo Neuer Horizont e.V.“ erbaut worden ist. Eine Zeit nach dem Abitur im Sommer 2012 habe ich die Steyler Schwestern dort bei ihrer Arbeit unterstützen dürfen. Eine Zeit, die mich völlig neue Maßstäbe und auch einer intensiven Definition von Nächstenliebe, Verzicht und Barmherzigkeit gelehrt hat. Die von mir oben beschriebene Situation ist nur Beispiel von Erlebtem, das bei mir Sprachlosigkeit und Bewunderung hervorgerufen hat. In meiner Heimat Deutschland habe ich nur selten Momente erleben dürfen, in denen der Begriff Barmherzigkeit für mich so greifbar wurde. Die Schwestern in Atakpamé haben mir gezeigt – der Begriff Barmherzigkeit erweist sich nicht in Gefühlen, sondern wird in praktischer Hilfe und effektivem Beistand real. Sich seinen Mitmenschen anzunehmen, sich ihnen in ihrer Not zu erbarmen, auch wenn man sich selbst nichts davon erhoffen kann – das muss es sein, was Jesus sich wünscht wenn er von uns Barmherzigkeit erzählt („ …Seid barmherzig, wie es auch euer Vater ist!“ Lukas 6,35-36).
Mir wird gerade in der heutigen Zeit immer bewusster, wie unempfindlich wir gegenüber Leidenssituationen werden. Es ist leicht die Hilfe auf den Staat oder auf andere übergeordnete Institutionen zu schieben. Oft fehlt es uns an Spontanität, wir überlegen lange ob und in welchem Maß wir Hilfe leisten. In Togo gab es diese Zeit zu Überlegen nicht, sie war auch gar nicht von Nöten. Die Schwestern haben sich denen erbarmt, die ihre Hilfe brauchten. Und das ohne Fragen und ohne Gegenleistung.
Wesel, 08.05.2016
Theresa Unsenos